Mediation im E.ON-Konzern – Erfahrungswerte, Stand und Perspektiven des Projektes der “Konzernmediation”

Zeitschrift für Konfliktmanagement (ZKM) 2008, Seite 171 ff.: Beitrag als PDF

Anknüpfend an den in dieser Zeitschrift erschienenen Erstbeitrag, in dessen Rahmen die Grobkonzeption eines vom Verfasser geleiteten Pilotprojektes zur Einführung der Mediation im E.ON-Konzern skizziert wurde (Klowait, ZKM 2006, 172 ff.), schildert der Beitrag den aktuellen Projektstand und gibt erste Erfahrungswerte bezüglich der Akzeptanz und Nutzung der Mediation im Konzerngefüge wieder.

A. Stand des Projektes
Die Grundidee des im Frühsommer 2006 gestarteten Projektes der Konzernmediation lässt sich im Groben wie folgt rekapitulieren: Die Möglichkeiten zur Beilegung konzerninterner Differenzen – sowohl zwischen Konzerngesellschaften als auch innerbetrieblicher Art – sollten dergestalt erweitert werden, dass den Parteien optional der Zugriff auf einen Pool qualifizierter, konzernangehöriger Mediatoren eröffnet wird. Auslöser für das Projekt war zum einen die in bestimmten Konfliktlagen immer wieder erlebte Nachfrage nach Vermittlung durch konzernangehörige, zugleich aber neutrale “Dritte” und andererseits die enge Verzahnung des Mediationsgedankens mit den Werten und Verhaltensweisen der sog. “OneE.ON-Unternehmenskultur”. Inzwischen sind nahezu 50 Kolleginnen und Kollegen aus zahlreichen Konzerngesellschaften zu “E.ON-Mediatoren” ausgebildet und eine Reihe von Mediationsverfahren – zumeist im innerbetrieblichen Kontext – erfolgreich abgeschlossen worden. Die wesentlichen Eckdaten des Weges dorthin sollen im Folgenden kurz nachgezeichnet werden.

  1. I. Aufbau des “Mediatorenpools”

Die Entscheidung, grundsätzlich auf Mediatoren “aus den eigenen Reihen” zu setzen, 1 führt zu der Notwendigkeit, den Parteien im Konfliktfall Mediatoren präsentieren zu können, die zwar konzernangehörig sind, zu dem in Rede stehenden Disput aber keinerlei Nähebeziehung aufweisen – und damit genauso neutral und allparteilich agieren wie ein externer Mediator. Da die persönliche Akzeptanz und das “standing” des Mediators bei den Medianten – nicht anders als bei externen Mediatoren – von überragender Bedeutung ist, kommt zudem der Auswahlmöglichkeit zwischen Mediator oder Mediatorin sowie zwischen verschiedenen Alters-, Berufs- und Hierarchiestufen große Bedeutung zu, um eine bestmögliche “Passung” gewährleisten zu können.

  1. 1. Leitbild der heterogenen Zusammensetzung

Die einleitend genannte Prämisse einer möglichst heterogenen Zusammensetzung spiegelt sich im Bestand des Mediatorenpools in mehrfacher Hinsicht wider, nämlich:

gesellschaftsbezogen: 15 Konzerngesellschaften haben Mitarbeiter zu Mediatoren ausbilden lassen.

berufsbezogen: Mit leichter Schwerpunktbildung bei den juristischen Herkunftsberufen umfasst das beruflichfachliche Spektrum der “E.ON-Mediatoren” im Übrigen Kolleginnen und Kollegen aus den Personalbereichen, technische und kaufmännische Berufe, Kommunikations- und Medienexperten, Betriebsratsmitglieder, Ingenieure und Betriebswirte. – hierarchiebezogen: Der Mediatorenpool umfasst zahlreiche Führungskräfte wie auch Kolleginnen und Kollegen mit nichtleitender Funktion.

geographisch: Der breiten Streuung bei den entsendenden Gesellschaften entspricht die regionale Verteilung der Mediatoren innerhalb der E.ON-Präsenz in Deutschland. midt 11.02.2014

alters- und geschlechtsbezogen: Innerhalb der Altersgruppe von Anfang dreißig bis Ende vierzig: 47 % Mediatoren und 53 % Mediatorinnen.

  1. 2. Grundzüge der Aus- und Fortbildung

 

Alle E.ON-Mediatoren haben eine von der Deutschen Anwaltsakademie (DAA) zertifizierte, als Inhouse-Schulung durchgeführte Mediationsausbildung absolviert,2 die weitgehend der externen DAA-Mediatorenausbildung entspricht, konzeptionell aber verstärkt auf die Anforderungen der Wirtschaftsmediation ausgerichtet ist und zusätzliche Spezifika der Mediation im Konzernumfeld berücksichtigt.3 Den vier – jeweils dreitägigen – Ausbildungsblöcken vorgeschaltet ist jeweils eine ganztägige, obligatorische Einführungsveranstaltung, deren Hauptziel darin besteht, den Teilnehmern anhand von Rollenspielen und begleitenden Gesprächen mit den Trainern erste Einblicke in die Mediation und vor allem eine kritische Selbstreflektion über ihre Eignung als Mediator zu ermöglichen. Die Ausbildung, die organisatorisch in Trägerschaft des Aus- und Fortbildungszentrums der E.ON Kraftwerke GmbH erfolgt, wurde erstmals im Zeitraum von September bis Dezember 2007 angeboten und – infolge der großen Nachfrage – im ersten Halbjahr 2008 erneut durchgeführt. Hinsichtlich der zeitlichen Dimensionierung galt es, eine qualitativ hochwertige, deutlich praxis- und anwendungsbezogene Schulung zu konzipieren, die sich in den Rahmen dessen einfügt, was hinsichtlich der ausbildungsbedingten “Fehlzeiten” seitens der künftigen Mediatoren – aber auch deren Vorgesetzten – noch als adäquat angesehen wird. Im Ergebnis führte dies zu einer 90-stündigen Ausbildungsdauer und dem – von allen Teilnehmern gerne gebrachten – “Opfer” einer teilweisen Verlagerung der Schulungsblöcke ins Wochenende. Sowohl das Feedback der Teilnehmer während der Ausbildung als auch die durchweg positiven Rückmeldungen nach den ersten durchgeführten Mediationen belegen, dass die E.ON-Mediatoren ohne Einschränkungen dazu befähigt sind, die Herausforderungen der Mediationspraxis souverän zu meistern. Die notwendigen qualitativen Anforderungen in inhaltlicher, didaktischer und methodischer Hinsicht können durchaus auch in einer Ausbildung vermittelt werden, welche die von manchen Mediationsverbänden propagierte 200-Stunden-Grenze nicht ausschöpft. Die Ausbildungsphilosophie beruht dabei auf dem Ansatz, den Mediatoren im Anschluss an ihre Ausbildung möglichst zeitnah den Praxistransfer zu ermöglichen und die dortigen Mediationserfahrungen durch fortlaufende Weiterbildungsmaßnahmen zu begleiten. Hierzu zählen vorrangig Supervisionssitzungen und fachspezifische Vertiefungsseminare, zunehmend aber auch (anfangs ggf. noch extern angeleitete) Intervisionen, deren vorrangige Zielstellung darin besteht, den sich bildenden Regionalgruppen ein Instrument zur autonomen Aufarbeitung und Reflexion ihrer konkreten Mediationserfahrungen an die Hand zu geben. Da sich das hohe Engagement der E.ON-Mediatoren unter anderem in der Bildung zahlreicher Arbeitsgruppen niedergeschlagen hat,4 bieten die Fortbildungsveranstaltungen regelmäßig auch Raum, konkrete Arbeitsergebnisse zu präsentieren, entsprechende Beschlussfassungen im “Mediatorenplenum” herbeizuführen und ggf. – je nachdem, welche Projekterfordernisse aktuell im Vordergrund stehen – Fein- und Nachjustierungen hinsichtlich der bearbeiteten Schwerpunktthemen abzustimmen.

 

  1. II. Verfahrensrechtlicher Rahmen

Die Philosophie zur Implementierung der Mediation folgt einem Prinzip, das auch für die Mediation selbst zentral ist – dem Grundsatz der Freiwilligkeit. Der Service, in geeigneten Konfliktsituationen auf einen konzernintern bereitstehenden Mediatorenpool zugreifen zu können, versteht sich als optional nutzbares Angebot. Verordnete Zwangsmediationen finden nicht statt. Der Ansatz, auf Freiwilligkeit und steigendes committment zu setzen, schlägt sich auch im formellen Implementierungsrahmen nieder, insbesondere in Bezug auf die inzwischen umfänglich verwandten Mediationsklauseln sowie in der Verwendung der “E.ON-Corporate-Pledge-Erklärung”.

 

  1. 1. Mediationsklauseln

Mediationsklauseln haben inzwischen in eine Reihe konzerninterner Verträge Eingang gefunden. Sie werden nicht nur auf Initiative der “mediationsgeneigten” internen (Anwalts-)Mediatoren aufgenommen, sondern zunehmend von dritter Seite angefragt. 5

  1. 2. Corporate Pledge

Die Nutzung sog. Corporate Pledges, also freiwilliger Selbstverpflichtungserklärungen des Inhaltes, zur Konfliktlösung ernsthaft auch den Einsatz von Mediation und anderer ADR-Ansätze zu prüfen,6 ist bislang überwiegend als Mittel der Verbreitung der Mediation im externen Geschäftsverkehr verstanden worden. Darüber hinaus kommt einer solchen Erklärung aber auch großes – bislang weitgehend ungenutztes – Potential im Rahmen der unternehmens- und konzerninternen Implementierung zu. Wird hierbei – wie vorliegend – der Ansatz verfolgt, auf die freiwillige Nutzung und entsprechendes, überzeugungsbasiertes “commitment” möglichst vieler Teilgesellschaften zu setzen, so bietet die Kernaussage des Corporate Pledge7 gerade wegen ihrer (bewusst) fehlenden Rechtsverbindlichkeit alle Voraussetzungen, das eigentliche Ziel der Übung zu erreichen: Mediation als gleichberechtigte Konfliktlösungsmethode anzuerkennen und auf der gedanklichen Agenda so fest zu verankern, dass im (Konflikt-)Eintrittsfall wie selbstverständlich auch darüber reflektiert wird, ob es sich um einen mediablen Konflikt handelt. Aktuell haben die großen Erzeugergesellschaften im E.ON-Konzern sich bereits eine solche Erklärung zueigen gemacht bzw. die Unterzeichnung des Corporate Pledge in Aussicht gestellt. Weitere Gesellschaften werden folgen.

  1. 3. Verfahrensordnung/Verhaltenskodex

Sowohl eine Verfahrensordnung als auch der “Verhaltenskodex für E.ON-Mediatoren” sind inzwischen verabschiedet worden. Letzterer orientiert sich weitgehend an dem (Entwurf eines) Europäischen Verhaltenskodex für Mediatoren vom 2.7.2004,8 wurde aber um einige Konzernspezifika ergänzt. Hierzu zählt insbesondere die Bezugnahme auf das sog. OneE.ON-

Leitbild und die diesem immanenten Werte und Verhaltensweisen der Unternehmenskultur. 9 Die Verfahrensordnung beschreibt unter anderem die Grundprinzipien der Mediation, den Ablauf des Verfahrens selbst, die Vertraulichkeit (hier in Bezug auf alle Verfahrensbeteiligten, insbesondere also auch der Medianten), die Modalitäten der Verfahrensbeendigung und enthält darüber hinaus Regelungen zur Verjährung,10 zur Haftung, zu den Kosten und zum Verhältnis der Mediation zu gerichtlichen Verfahren und Eilverfahren. Darüber hinaus sind die Grundsätze beschrieben, welche die zentrale Mediationsstelle11 bei der Auswahl und Benennung von Mediatoren zu beachten hat. Als E.ON-Mediator wird danach grundsätzlich nur vorgeschlagen,12 wer den Nachweis einer geeigneten Ausbildung zum Mediator erbracht hat13 und den “Verhaltenskodex für E.ON-Mediatoren” verbindlich anerkennt.

 

  1. 4. Kommunikation und Marketing

Bekanntheitsgrad und Stellenwert der Mediation sind seit Projektbeginn deutlich gestiegen. Im Rahmen einer Online-Umfrage, die im April 2008 über das Intranet konzernweit geschaltet war, gaben bereits 36,4 % der Teilnehmer an, dass sie – nach Ausschöpfung aller Bordmittel – dem Einsatz von E.ON-Mediatoren gute Chancen einräumen, zu einer gütlichen Einigung zu kommen.14 Gleichwohl wird eine der Hauptaufgaben des internen Marketings auf absehbare Zeit weiterhin darin bestehen, Unbekanntes bekannt zu machen bzw. erst oberflächlich vorhandene Kenntnisse über die Mediation weiter zu vertiefen. Äußerst positiv wirkt sich dabei aus, dass die notwendige Überzeugungsarbeit arbeitsteilig von einem hoch motivierten Team – in Gestalt der Mitglieder des Mediatorenpools – in unterschiedlichen Funktionen, Hierarchieebenen und Gesellschaften erbracht wird. Neben den schon erwähnten Arbeitsgruppen,15 die sich jeweils im abschließenden, vierten Modul der Ausbildung gebildet haben, sind die Kolleginnen und Kollegen an unterschiedlichen Stellen im Konzern auch als Multiplikatoren anzusehen – mit entsprechend positiven Auswirkungen auf Akzeptanz und Verbreitung der Mediation. Daneben werden – gesteuert und koordiniert von der Mediationsstelle – sämtliche der bereits im Ausgangsbeitrag genannten Informationskanäle16 genutzt: im Mittelpunkt der Beiträge, die in verschiedenen – zum Teil konzernweit erschienenen – Medien veröffentlicht wurden (Mitarbeiterzeitschriften, Homepage, Artikel und News-Meldungen im Intranet, Flyer etc.), steht die Beantwortung der Fragen, die sich einem – aktuell oder zukünftig – mediationsgeneigten Mitarbeiter stellen (Was ist Mediation? Worin liegen meine Vorteile? In welchen Fällen ist Mediation sinnvoll? An wen kann ich mich wenden? Wie läuft das Verfahren ab? Ist die Vertraulichkeit gewahrt? Kosten? etc.). Die größte Bedeutung kommt – neben persönlichen Gesprächen – nach wie vor allerdings den gehaltenen Präsentationen zu. Hier wird zumeist unmittelbar deutlich, ob und wo Unsicherheiten oder gar Vorbehalte bestehen und wie dem ggf. entgegenzuwirken ist. Vorüberlegungen zur Ansprache der richtigen “stakeholder”,17 bzgl. des Nutzens der Mediation gerade für die angesprochene Zielgruppe,18 aber auch das Antizipieren gerade dort erwarteter Befürchtungen zahlen sich dabei erfahrungsgemäß aus. Hierzu zählt beispielsweise die ursprüngliche Erwartung, seitens einiger Betriebsratsmitglieder könne (innerbetriebliche) Mediation als “Konkurrenz” zu den eigenen Aufgaben (miss-)verstanden werden. Tatsächlich haben sich die Betriebsräte stattdessen in Summe allerdings sehr aufgeschlossen, konstruktiv und unterstützend gezeigt. Ursächlich hierfür dürfte nicht nur die Tatsache der Mitgliedschaft von Betriebsratskollegen im Mediatorenpool sein, sondern vor allem die Erkenntnis, dass es sich um ein freiwillig nutzbares Angebot handelt, das auch zur Unterstützung von Betriebsratsaufgaben nutzbar gemacht werden kann. Schon aus der Größe des Mediatorenpools ergibt sich, dass auch für effektive Kommunikationsmöglichkeiten der Mediatoren untereinander gesorgt werden muss. Hierbei ergänzen sich Treffen und Abstimmungen im kleineren Kreis – insbesondere in themenspezifischen Arbeitsgruppen und lokal gebildeten Regionalgruppen – mit Informationen und Kommunikationsplattformen, welche die Mediationsstelle für alle Mediatoren und Mediationsinteressierte zur Verfügung stellt. Von zentraler Bedeutung ist dabei das sog. Mediatoren Forum. Es handelt sich dabei um eine – nach gesonderter Freischaltung für interessierte Mitarbeiter – konzernweit verfügbare Plattform, auf deren Seiten zahlreiche Dokumente und Informationen rund um das Thema Mediation eingestellt sind. Hierzu zählen z.B. allgemeine Informationen über das Mediationsverfahren, Literaturhinweise, Rezensionen zu Lehrfilmen, DVD’s und Hörbüchern, die Bereitstellung von Diskussionsforen, Hinweise zu Mediationsveranstaltungen, Veröffentlichungen speziell zur Mediation im E.ON-Konzern, Gesetze, Richtlinien und – in einem geschützten Bereich – die Schulungsunterlagen der Inhouse-Schulung sowie spezielle Arbeitshilfen und Dokumente für E.ON-Mediatoren (verschiedene Checklisten, ein Feedbackbogen zur Einholung des Meinungsbildes von den Medianten nach durchgeführten Mediationen, Mediationsklauseln, die Verfahrensordnung, der Verhaltenskodex etc.). Weiterhin ist eine Querverlinkung zu einer umfassenden Literaturdatenbank der E.ON Academy19 enthalten, auf der Kurzzusammenfassungen zu verschiedensten Management-, Mediations- und ADR-Themen abrufbar sind. Vertreten sind auf diesem Forum, das von der zentralen Mediationsstelle gepflegt und administriert wird, sämtliche E.ON-Mediatoren, darüber hinaus aber auch zahlreiche weitere Kollegen und Kolleginnen, die besonderes Interesse an Mediationsthemen signalisiert haben. Von der Mediationsstelle werden zudem regelmäßig Newsletter für die E.ONMediatoren verfasst. In diesem Rahmen wird vorwiegend über aktuelle Entwicklungen zur Mediation informiert, z.B. über den Stand der gerichtlichen Mediation in einzelnen Bundesländern, über Tendenzen im Bereich der (Mediations-)Gesetzgebung oder über Neuigkeiten aus der Arbeit von Mediationsverbänden. Das Informationsangebot wird durch einen – konzernweit zugänglichen – Intranet-Auftritt zur Mediation sowie durch periodisch veröffentlichte Beiträge in Mitarbeiterzeitschriften abgerundet.

B. Zum Nutzen der Mediation – ein Zwischenresümee

Der Nutzen, den das Einbringen mediativer Kenntnisse in verschiedene betriebliche und geschäftliche Zusammenhänge bewirkt, lässt sich mit der Frage nach der bloßen Anzahl durchgeführter Mediationsverfahren nicht umfassend beschreiben. Er zeigt sich im Rahmen förmlicher Mediationsverfahren in seiner Reinform, kann aber auch in Gestalt diverser – überaus erwünschter – “Nebenwirkungen” auftreten. 20

  1. I. Schwerpunkt bisheriger Praxis – Innerbetriebliche Mediationen

Der Schwerpunkt bisher durchgeführter Mediationen lag eindeutig im Bereich der innerbetrieblichen Konflikte. Rückblickend betrachtet lieferte schon die erste Mediation den Beleg hierfür. Zwei Mitarbeiter, die – im selben Büro sitzend – fachlich eng zusammenarbeiteten, hatten seit längerer Zeit Differenzen, die sich negativ auf ihren Umgang miteinander auswirkten. Darüber hinausgehend drohten negative Auswirkungen sowohl auf das Gesamtbetriebsklima in dem betroffenen Bereich sowie auf die Güte der Arbeitsergebnisse. Nach Vorgesprächen mit den unmittelbar Beteiligten, dem gemeinsamen Vorgesetzten der Medianten und dem Personalbereich wurden – auf “neutralem Boden”, also außerhalb der üblichen Arbeitsumgebung der Beteiligten – zwei Sitzungen durchgeführt, in deren Verlauf die Betroffenen sich erstmalig – trotz jahrelanger vorheriger Zusammenarbeit – mit der Sichtweise und dem Empfinden des jeweils anderen auseinandersetzen, ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse offenlegen und den “geschützten Raum” schließlich dazu nutzen konnten, “Spielregeln” für den zukünftigen konfliktfreien Umgang miteinander zu vereinbaren. Hierzu zählte auch die Übereinkunft, bisherige Arbeitsabläufe teilweise umzustellen und zu optimieren. Bestandteil der Ergebnisvereinbarung war zudem die Durchführung eines einige Monate später stattfindenden Folgetermins, in dessen Rahmen wechselseitig über die bis dahin gemachten – äußerst positiven – Erfahrungen mit der Umsetzung der Vereinbarung und den Auswirkungen auf das persönliche Miteinander berichtet wurde. Zur Verbuchung der nach internen Verrechnungssätzen abgerechneten Mediation wurde eine anonymisierte Sonderkostenstelle beim Personalbereich21 eingerichtet, auf welche der die Mediatorin “entsendende” Bereich den nach Zeit bemessenen Aufwand für die Mediation weiterbelastete. Aus Sicht aller unmittelbar Beteiligter und auch der weiteren Betroffenen (Vorgesetzter, Personalbereich) ein voller – und nachhaltiger – Erfolg, der in ähnlicher Form auch für die weiteren durchgeführten Mediationen verbucht werden konnte. Gegenstand von Mediationen und Mediationsanfragen22 waren oftmals Konflikte mit Teamberührung, sei es in Form von Spannungen zwischen Teammitgliedern, im Verhältnis einer Projektgruppe zum Projektleiter oder auch bei Differenzen zwischen verschiedenen Teams. Weitere Fälle, in denen es um Konflikte zwischen Mitarbeitern auf gleicher Ebene, um Spannungen im Verhältnis zweier Führungskräfte und um Differenzen im Vorgesetzten- Mitarbeiter-Verhältnis ging, runden das – vorläufige – Bild ab.

 

Steigerung der Verhandlungseffizienz

Mediative Kenntnisse und Fertigkeiten konnten daneben auch gewinnbringend im Rahmen verschiedenster Verhandlungssituationen genutzt werden. Sie erweitern das – konventionell zumeist auf distributives Verhandeln ausgerichtete – Instrumentarium und ermöglichen das qualifizierte Einbringen kooperativ orientierter Verhandlungstechniken. Dies bedeutet keinesfalls, dass mediativ geschulte Verhandler “weicher” verhandeln – gerade in Situationen, in denen sich ein “Verhandlungsknoten” gebildet hat, stehen ihnen allerdings zusätzliche Möglichkeiten offen, diesen Knoten durch den variablen Einsatz erlernter Verhandlungs- und Kommunikationstechniken zu lösen – oder gar seiner Bildung vorzubeugen. Dass dies keine theoretische Aussage ist, belegen zahlreiche Rückmeldungen aus dem Kreis der Mediatoren, in deren Mittelpunkt jeweils die Erfahrung stand, dass Verhandlungen, die zuvor lange Zeit stagnierten, zügig und für beide Seiten zufriedenstellend abgeschlos- sen werden konnten, nachdem mediatives Know-how eingebracht wurde. Interessanterweise traten diese Effekte zum Teil bereits in fortgeschrittenem Ausbildungsstadium – also noch vor Abschluss der Inhouse- Ausbildung – auf, nämlich in Form entsprechenden Feedbacks auf die – zu Beginn jedes Ausbildungsmoduls gestellte – Frage, welche Erfahrungen die Teilnehmer mit den erworbenen Kenntnissen in der Zwischenzeit gemacht hätten.

 

  1. III. Einzelmediation, Beratungs- und Coachingelemente

Ähnlich positiv fallen die aus dem Mediatorenkreis gegebenen Rückmeldungen auf die Frage aus, ob und inwieweit sich das Erlernte zum Beispiel im Rahmen von schwierigen Gesprächssituationen, Kunden-, Mitarbeiter- oder Beratungsgesprächen als gewinnbringend erwiesen hat. Unter anderem deshalb, weil auch die – auf der Schnittstelle zum Coaching angesiedelten – “Einzelmediationen” fester Ausbildungsbestandteil sind, wurden durchgängig positive Erfahrungen berichtet, sei es in Bezug auf – für beide Seiten spürbare – Qualitätsgewinne im Rahmen der Gesprächsführung, Kompetenzzuwachs bei der Moderation von Meetings bis hin zur Durchführung von Beratungsgesprächen mit Mitarbeitern und Kollegen.

 

C. Ausblick und Schlussbemerkung

“Die Unternehmen wollen nicht, was sie tun und sie tun (noch) nicht, was sie wollen” – diese Kurzfassung des Fazits der ersten PwC-Studie zum Konfliktmanagement, 23 das auf die umfangreiche Nutzung der überwiegend als nachteilig bewerteten “klassischen” (Gerichts-)Verfahren und die zugleich festgestellte Zurückhaltung beim Einsatz der – äußerst positiv bewerteten – Mediation anspielte, ist noch lange nicht gänzlich widerlegt; es kann inzwischen aber dahingehend modifiziert werden, dass jedenfalls immer mehr Unternehmen das tun, was sie “eigentlich wollen”: die erkannten Vorteile der Mediation tatsächlich nutzen. Die Wirtschaftsmediation hat unzweifelhaft neue Impulse erhalten. Ein Indiz hierfür ist die von E.ON und SAP initiierte Gründung des “Round Table Mediation und Konfliktmanagement der Deutschen Wirtschaft”,24 einer Initiative, in der – mit steigender Tendenz – eine Reihe von Großunternehmen und Konzerne wie z.B. AUDI AG, Bayer AG, Bombardier Transportation GmbH, Deutsche Bahn AG, EnBW AG, Fraunhofer Gesellschaft und Siemens AG vertreten sind und deren Zielsetzung im Erfahrungsaustausch und der weiteren Förderung und Verbreitung der Mediation in der Wirtschaft besteht. Auch die Erfolge, die das Projekt der Mediation im E.ON-Konzern zu verzeichnen hat, geben Anlass zu einem positiven Zwischenresümee. Das Ziel, Mediation vorbehaltlos als gleichberechtigte Konfliktlösungsmethode wahrzunehmen, ihr Potenzial zur positiven Gestaltung der Konflikt- und Unternehmenskultur und zur Einsparung interner wie externer Konfliktkosten voll auszuschöpfen und ihren Einsatz in geeigneten Fällen wie selbstverständlich anzusehen, ist zwar noch nicht durchgängig erreicht. Aber: Der Zug rollt.

Dr. jur. Jürgen Klowait Rechtsanwalt und Mediator, Leiter des Gelsenkirchener Rechtsbereichs der E.ON Kernkraft GmbH juergen.klowait@eon-energie.com

1 Die Präferenz für “E.ON-Mediatoren” versteht sich als Grundsatzentscheidung, nicht als Dogma. In begründeten Ausnahmefällen ist die Hinzuziehung externer Mediatoren durchaus denkbar.

2 Die teilnehmende Syndyci erfüllen damit zugleich die standesrechtlichen Voraussetzungen des § 7a der Berufsordnung für Rechtsanwälte, wonach nur derjenige (zugelassene Rechtsanwalt) sich als Mediator bezeichnen darf, der durch eine geeignete Ausbildung nachweist, dass er die Grundsätze des Mediationsverfahrens beherrscht. Dr. Otto

3 Bspw. wird bereits anlässlich des Einführungstages die Einbettung der Ausbildung in das Projekt der Konzernmediation thematisiert und insbes. das Schlussmodul steht weitgehend im Zeichen des Transfers in die Mediationspraxis innerhalb des Konzerns.

4 Z.B. zu den Themenbereichen Marketing, Kostenmodelle, Fortbildung.

5 Bspw. seitens des Einkaufs oder technischer Bereiche.

6 Ausführlich zum Corporate Pledge Klowait/Hill, SchiedsVZ 2007, 83 ff.

7 Diese lautet wie folgt: “Wir erkennen an, dass auch eine Bewältigung von Konflikten in Form der Mediation Wege aufzeigt, konzerninterne Differenzen in respektvoller Zusammenarbeit schnell und effektiv zu lösen. Aus diesem Grunde erklären wir, den Weg der Konzernmediation als Form der Konfliktlösung in jedem Stadium geeigneter Konfliktsituationen ernsthaft zu prüfen.”

8 Http://ec.europa.eu/civiljustice/adr/adr_ec_code_ conduct_de.pdf (Zugriff am 22.9.2008).

9 S.a. Klowait, ZKM 2006, 172 (174).

10 Die Verjährung von Ansprüchen ist während der Durchführung der Mediation – mit dreimonatiger Nachfrist – gehemmt.

11 Zentrale Anlaufstelle für Mediationsverfahren aus dem Projekt der Konzernmediation ist der vom Verfasser geleitete Gelsenkirchener Rechtsbereich der E.ON Kernkraft GmbH.

12 In der Praxis haben sich zwei “Wege zum Mediator” herausgebildet: entweder die Direktansprache eines Mediators/ einer Mediatorin aus dem Kollegenkreis oder die Kontaktierung der zentralen Gelsenkirchener Mediationsstelle.

13 Dies gilt selbstverständlich für die vorerwähnte Inhouse- Schulung zum Mediator, eröffnet aber auch extern ausgebildeten Kollegen und Kolleginnen die Chance zur Aufnahme in den Mediatorenpool, soweit die jeweilige Ausbildung den gesetzten Standard erfüllt.

14 58,2 % gaben an, sie würden versuchen, den Konflikt zunächst im Dialog mit allen Beteiligten zu lösen und 5,5 % sprachen sich dafür aus, dass es im Streitfall immer am besten sei, wenn ein Dritter vermittelt. Die Ausgangsfrage war dabei wie folgt formuliert: “Konflikte lassen sich im Berufsleben nicht vermeiden. Würden Sie intern oder extern einen der E.ON-Mediatoren einsetzen, um einen Streit zu schlichten?”

15 Siehe Ziffer I. 1. b) sowie Fn. 6.

16 Klowait, ZKM 2006, 172 (176).

17 Geschäftsführer, Vorstände, Rechts- und Personalbereiche, Betriebsratsgremien und der Sprecherausschuss der Leitenden stehen hier besonders im Fokus.

18 Innerbetriebliche Kontexte stehen naturgemäß für den Personalbereich und den Betriebsrat im Vordergrund.

19 Konzernweit nutzbare Fortbildungseinrichtung im Sinne einer “Corporate University”.

20 Zum Potential, durch Führung mit mediativen Elementen Einfluss auf die Konfliktkultur zu nehmen, vgl. jüngst Patera, ZKM 2008, 80 ff.

21 Die Verbuchung erfolgte unter Vertraulichkeitsaspekten bewusst nicht über den Fachbereich, in dem die Mediation stattfand.

22 Die Zwischenbilanz für dieses Jahr erfasst bereits 12 Mediationsanfragen bis September 2008 (Redaktionsschluss dieses Beitrages), wobei die Zahl der Einbringung mediativer Kenntnisse in weiteren, “nicht-förmlichen” Zusammenhängen wie z.B. Verhandlungen und schwierigen Gesprächssituationen naturgemäß deutlich höher ausfällt.

23 Commercial Dispute Resolution, Konfliktbearbeitungsverfahren im Vergleich, in Zusammenarbeit mit der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), hrsg. von PwC Deutsche Revision AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, April 2005, vgl. auch Gläßer/Kirchhoff, ZKM 2005, 188 ff.

24 Die wissenschaftliche Begleitung des Round Table erfolgt über die Europa Universität Viadrina, Frankfurt/ Oder und das dortige Institut für Konfliktmanagement.